Musik - Marie Jacquot, vom Schläger zum Taktstock

Sie brillierte beim Tennis, wechselte aber zur Musik. Mit 30 ist diese Französin eine der berühmten "Dirigenten" (sie besteht darauf) des Augenblicks.

Rasch, energisch aber fröhlich, behauptet sie : "Ich betrachte mich nicht als "weiblichen" Dirigenten, weil das eher das Geschlecht als den Beruf betont, auch wenn ich die Bezeichnung respektiere."

Vergessen wir den Begriff "Inklusion", hier geht es nur um Marie Jacquot, die Dirigentin. Mit der Ernennung von Marie als Kappellmeisterin trat die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf-Duisburg in den exklusiven Club der von einer Frau geleiteten Ensembles ein (4,3 % der Weltorchester, laut Daten von 2019), wo sie Opern von Verdi oder Gounod dirigiert. Sie wird für Konzerte mit den besten musikalischen Ensembles wie der Karajan-Akademie (jene Schule, die mit der Berliner Philharmonie verbunden ist) oder dem Sinfonieorchester von Mulhouse eingeladen.

Mit 30 Jahren, am Vorabend eines Konzerts in der "Filature" von Mulhouse, hat diese junge schwarzhaarige Frau, die vor Talent nur so strotzt, bereits ein ganzes Leben hinter sich, in Chartres, ihrer Heimatstadt, in Zeiten, in denen sie nicht gerade eine Musikliebhaberin war : „Im Auto, wenn mein Vater Radio Classique einschaltete, wechselte ich zu "Fun Radio" oder "Skyrock", erinnert sie sich. "Klassische Musik war nicht mein Ding." Diese Fahrten, mit musikalischer Fehde im Hintergrund, nutzte sie, um zu Meisterschaftstrainings zu fahren. Als Teenager war Marie Jacquot eine Tennisspielerin, eine der besten ihrer Generation. "Ich wurde gesponsert und spielte im French Open". "Ich wurde gesponsert und spielte in Roland-Garros"Dann, im Alter von 15 Jahren, beschloss sie, endgültig mit dem Tennis aufzuhören. "Es war nicht passend für mich. In der Zwischenzeit hatte ich mein Instrument, die Posaune, entdeckt."

Kollektiv

Inspiriert von einem hervorragenden Lehrer, Roberto Gatto, ging sie in Richtung Orchesterleitung: "Ich war begeistert von dem Kollektiv, dem starken Gefühl des Zusammenseins." Auch die Entdeckung der deutschen romantischen Musik: berauscht von Brahms und Mendelssohn findet Marie Jacquot natürlich den Weg zum Studium nach Wien. Als sie für eine Prüfung La Marseillaise singen soll, zieht sie es vor, ein Stück von Schumann zu singen: "Ich hätte gerne La Marseillaise gesungen, aber ich kannte nicht alle Wörter." Ihr erster wichtiger Auftrag ist in München, wo sie dem berühmten russischen Maestro Kirill Petrenko assistiert. Heute lebt und denkt sie auf Deutsch, so dass sie manchmal nach Worten in ihrer Muttersprache sucht.

Ausdauer

Dass sie eine Tennisspielerin war, erkennt man an ihrer Körpersprache am Stand, die sowohl graziös als auch dynamisch ist. "Das hat die Musik mit dem Sport gemeinsam: man spielt sie" sagt Marie Jacquot und erinnert sich an den Nutzen, den sie auf den Plätzen in Bezug auf Koordination und Ausdauer gewonnen hat: "Ich habe an Rundheit und Tonus gewonnen. Wenn man eine Oper dirigiert, muss man sich zwei oder drei Stunden lang komplett hingeben, es ist wichtig, durchzuhalten." Vor langer Zeit konnte sie nicht viel Interesse für alle diese "Geschichten, die schlecht enden" aufbringen, aber heute genießt sie die Fülle der Oper: "Es ist die Essenz des Jobs und eine wunderbare Quelle der Freude, wenn man die Szene, den Orchestergraben und die Techniker koordiniert. Es gibt keine Routine, jede Vorstellung ist anders."

Bis zur Wiedereröffnung der Konzertsäle für die Öffentlichkeit ist das Konzert vom 18.Dezember 2020 mit den Wiener Symphonikern (Dukas, Ravel, Bach) online zu erleben: www.youtube.com

Das Konzert vom 16.Februar mit der Karajan-Akademie (Eisler, Weill) wird ausgestrahlt auf: www.digitalconcerthall.com

Das Konzert vom 5.März mit dem Sinfonieorchester Mulhouse (Beethoven, Mozart, Rachmaninov) ist über www.lafilature.org verfügbar.

Als sie Orchesterdirigieren studierte, schaute sich Marie immer Videos der berühmtesten Dirigenten auf Youtube an, um von ihnen zu lernen: "Bernstein, Ozawa, Kleiber, Karajan, Abbado, Myung-Whun Chung... Die Liste ist lang." Nicht eine einzige Frau in diesem Pantheon: "Ich habe mir aber nie gesagt: Das ist ein Männerberuf. Ich musste nie eine weibliche Dirigentin sehen, bevor ich mich auf diese Weise projizieren konnte. Im Grunde wurde mir die Frage gestellt, bevor ich sie selbst mir überhaupt gestellt habe..." Ausgebildet in Wien, arbeitend in Deutschland, wurde Marie Jacquot Zeugin der Kontroverse über die Wiener Philharmoniker, die durch einen Tweet von Ibrahim Maalouf über das Neujahrskonzert ausgelöst wurde. "Ich unterstütze den Wunsch nach Vielfalt und Parität, wenn sie auf Kompetenz und nicht auf bloßen Quoten beruhen", erklärt sie. "Mein Platz ist die Qualität." Von diesem Platz spricht sie mit berechtigter Begeisterung.

"Die Düsseldorfer Symphoniker sitzen auf der Bühne um Marie Jacquot, die sie als Kapellmeisterin der Deutschen Oper am Rhein sehr gut kennen. Jacquot glänzt mit guter Laune und dirigiert so unprätentiös instruktiv, dass man sich fragt, wie galant und farbenreich Brittens letztes Werk im leeren Saal klingt."

"Christian Ehrings bittet die Dirigentin um ein Interview. Jacquot strahlt so freundlich wie auf dem Podium, erzählt von ihrer vergangenen Tenniskarriere (sie war einmal die Nummer fünf in Frankreich) und muss über Ehrings selbstbewusste Unbildung in Sachen Oper weglächeln"

Rp-online

"Erschütternde Szenen und Schicksale spielten sich da in der Musik ab, Marie Jacquot motivierte das Orchester zu scharfen Akzenten und ausdrucksvoller Dynamik, drückte aufs Tempo, modellierte in klarer Gestik ihren Wunschklang."

Bachtrack.com

"Jacquot ließ die Empfindung neuer Sachlichkeit aus den Ecksätzen klingen, die äußerst prägnant und detailgetreu von den 35 Musikern dieser Akademie formuliert wurden, in den Soli wie im Tutti gestalterische Intelligenz bewiesen. Behutsam, ohne dass Stimmen sich gegenseitig zudeckten und mit gutem Puls für klare Melodielinien wurde aus der Symphonie kein Adrenalin-Werk, behielten die dicht verwobenen Streicherkantilenen des Largo in rückblickender Melancholie ihren herben Charme. Meisterhaft!"

Gesehenundgehört.de

"Über den Erfolg des Abends entscheidet die Musik. Und die ist bei Marie Jacquot in denkbar guten Händen. Sie hat ein überragend gutes Gespür für die Musik entwickelt, die sie nach eigenen Angaben zum ersten Mal anlässlich des Festivals dirigiert. Da geht es mitunter zackig zur Sache, wenn es der Sache dient. Im Pauseninterview mit dem erfahrenen Kulturmanager und Chefredakteur des hauseigenen Magazins 128, Oliver Hilmes, der überraschend vorbereitete Fragen vom Blatt ablesen und auf die Einflüsse anderer Musiker auf die Komponisten des Abends verweisen muss, schildert die Dirigentin packend und zutreffend, welche Eindrücke die Musik vermittelt. Das macht richtig Spaß, zumal wenn man sich in seinen eigenen Empfindungen bestätigt fühlt."

O-ton.online

Marie Jacquot war eine großartige Tennisspielerin. Dann beschloss sie, Dirigentin zu werden. Begegnung mit einer Ausnahmekünstlerin.

Die Dirigentin Simone Young sagte, nach den Wichtigkei­ ten der Schlagtechnik ge­ fragt, einmal: Jeder Dirigent arbeite zwar ein Leben lang technisch an sich, »aber man hat gute Hände, oder man hat sie nicht«. Die Feststellung mag banal klingen, doch sie stimmt. Das Phänomen der »guten Hän­ de« lässt sich studieren, wenn man die erst 30­jäh­ rige Marie Jacquot beobachtet.

Der erste Kapellmeister der Deutschen Oper am Rhein und ehemalige stellvertretende Generalmusikdirektor des Mainfranken Theaters Würzburg ist Pariser, Wiener, gebürtiger Weimarer, Wahl-Rheinländer - und sicherlich einer der phantasievollsten jungen Interpreten dieser Jahre. Bei der Aufführung von Maurice Ravels Tombeau de Couperin im Dezember vergangenen Jahres in der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz reichten ihr kaum sichtbare gestische Nuancen, um den Klang des Orchesters für ganze Sekunden zu verändern. Hände können dies tun, wenn sie so flexibel sind, so selbständig und spontan koordiniert wie die musikalischen Vorstellungen ihres Besitzers. In ihrem Fall entstehen Bewegungen, die man so kaum sprechend gesehen hat - so individuell, dass keine Handschrift eines Lehrers oder einer Schule durchscheint. Vieles von diesem Dirigieren ist völlig in sich abgeschlossen, als wäre es getragen von einer zufriedenen, stoischen Gelassenheit oder besser: einem tiefen Vertrauen in die Musik.

Bei einem Konzert wie diesem im vergangenen Dezember braucht Marie Jacquot nur wenige Augenblicke, um mit ihren Händen Strukturen und Lücken zu bilden, die das Ohr und den Blick des Zuschauers verbannen. Nichts davon klingt revolutionär oder wie nie zuvor gehört. Jacquots Interpretationen sind eher erfinderisch als innovationsgetrieben, sie schweben, sie entstehen autonom, ohne die Geste der Emanzipation von irgendetwas.

Offenbar hält die Dirigentin nicht viel davon, klassische Musik und ihre Gewohnheiten umzuschreiben, nur weil es von ihr als junge Interpretin erwartet wird. "Symphonien gibt es schon seit Jahrhunderten", sagt sie in einer Mischung aus französischem Akzent und leichtem Wiener Dialekt, "und selbst wenn man versucht, das, was der Komponist geschrieben hat, so weit wie möglich zu respektieren, ergeben sich immer wieder neue Wege". Sie will der Komposition dienen und sie so interpretieren, "dass die Musik so gut wie möglich dem entspricht, was uns ein Komponist zu geben versuchte" - so unklar, ob dies jemals gelingen wird. So wie bei einem Spiel, bei dem man nie weiß, ob man gewonnen oder verloren hat? "Ich nenne es: ehrlicher und respektvoller Umgang mit dem Werk und der Musik", sagt Jacquot. "Ich versuche, mich nicht von der Geschwindigkeit unserer Gesellschaft mitreißen zu lassen, ich möchte Zeit haben, um mich als Musiker und als Mensch zu entwickeln.

Eine Dirigentin wie sie ist keine Herrscherin. Vielmehr ist sie gleichberechtigter Teil eines Prozesses, den sie mit anderen gestaltet – eines Prozesses, dessen Ausgang völlig offen ist. Das muss man aushalten können. Sie kann das. Diese Einstellung war ein wichtiger Grund dafür, warum Marie Jacquot vor ihrem Dirigierstudium eine erfolgreiche Karriere als Tennisspielerin aufgab – sie hatte es bis zu den French Open geschafft. »Irgendwann wurde mir klar, dass ich nicht länger gegen andere spielen wollte«, sagt sie. »Gegeneinander anzutreten und zu kämpfen ent­ spricht nicht meiner Seele.« Von einem Tag auf den anderen ließ die damals 16­Jährige den Schläger lie­ gen. »In meiner Familie waren Sport und Musik im­ mer wichtig«, erzählt Jacquot. »Mein Vater musste sich als Kind für eines von beidem entscheiden, ent­ weder Klarinette oder Tennis. Uns Kinder hat er dazu verpflichtet, aus beidem etwas auszuwählen – einen Sport und ein Instrument.« So begann Jacquot wie ihre beiden Geschwister mit Klavier und Tennis und wechselte mit zehn Jahren zur Posaune, die sie in Paris bis zur Abschlussprüfung studierte.

Auch hier herrschte am Ende Offenheit: Sie wechselte nach Wien und Weimar, um Dirigieren zu studieren, ohne die Abschlussprüfung abzulegen. Tennis und Posaune, diese gegensätzlichen Erfahrungen als impulsive, dominante Solistin auf dem Platz und als passende Mittelstimme in den tiefen Blechbläsern - sie waren wohl prägend für Jacquots phantasievollen Dirigierstil: die größtmögliche Unabhängigkeit der Hände und die Vorfreude, die sie im Tennis trainierte, auf der anderen Seite das feine Ohr und die kommunikative Virtuosität in der Klanggestaltung, die man als Orchestermusikerin erlernt. Die Entscheidung, endlich zum Orchester zu wechseln, sei genau das gewesen, nämlich ein natürlicher Prozess, "wie immer". Meine Familie war etwas überrascht von all diesen spontanen Entscheidungen, aber sie haben mich immer unterstützt. Ich hoffe, sie sind stolz geworden. "

Vielleicht ist das Dirigieren ja für sie auch nur eine Etappe? »Ich halte es schon für möglich, dass ich noch einmal etwas anderes mache«, sagt Jacquot. »Aber solange ich Spaß an meinem Beruf, meiner Berufung habe, wird das nicht passieren.«

Seit Monaten hat kein großes Konzert stattgefunden. Abgesehen von den existentiellen Ängsten, denen viele Musiker ausgesetzt sind, bedeutete dies nicht nur Schwierigkeiten für Jacquot: "Ich nutzte die Zeit zu Hause, um über meine Vorstellungen von Klang nachzudenken und mir Fragen zu bestimmten Werken zu stellen, viel zu lesen und den Kontext einer Komposition zu erfahren", sagt sie. Vor allem war es eine produktive Zeit, "als Dirigent und als Mensch". Zum ersten Mal nach Jahren des Reisens und Konzertierens hatte sie den Raum, ihre Gedanken wie die einzelnen Stimmen eines Orchesters zu hören. "Ich habe viel über mich und die Richtung nachgedacht, die ich meinem Leben geben möchte", sagt sie. Und fügt hinzu, als würde sie über eine ihrer Interpretationen sprechen: "Ich bin auf viele Ideen gekommen und habe mir Meinungen gebildet, die sich in dieser ungewöhnlichen Situation immer wieder geändert haben. Und das kann sich noch weiter ändern".

Am 5. Oktober leitet Marie Jacquot das Konzert der Reihe »Rendezvouz um halb 8« in Düsseldorf mit den Düsseldorfer Symphonikern.  

Am 3. November debütiert sie in der Bayerischen Staatsoper mit Miroslav Srnkas Oper »South Pole«.  

Am 6. Dezember dirigiert sie das Deutsche Symphonie­Orchester Berlin in der Philharmonie.

"Die Französin Marie Jacquot verfügt mit ihren achtundzwanzig Jahren über hörbar viel Erfahrung, Inspiration und Routine. [...] Den Abgrund bei Messiaen lässt das DSO virtuos brodeln, während die schlicht gezeichneten Linien, die ihn umgeben, in den Violinen etwas substanzlos wirken. Aber dass Marie Jacquot diese Melodien nicht sentimental auflädt, ist als musikalischer Ansatz überzeugend. Auch in Ravels Märchen-Suite 'Ma mère l'oye' funkeln die Kontraste in der farbenfrohen Flatterigkeit des 'Kleinen Däumlings' und der energisch gelungenen Prachtentfaltung des abschließenden 'Feengartens'."